Theateraufführung im Klassenzimmer

Büchner hautnah erleben

Montag, 9.35 Uhr. Die Klassenzimmertür öffnet sich. Die Schüler strömen nach der großen Pause hinein. Soweit ist alles wie immer. Doch dann ist alles anders: Eine Bühne befindet sich im Klassenzimmer. Auf Einladung der Deutschlehrer und unterstützt durch den Förderverein der Schule gastiert das „TheatermobileSpiele“ aus Karlsruhe am HBG. Als Zuschauer geladen sind alle Deutschkurse des Abiturjahrgangs. Auf 25 Quadratmetern haben sich Georg Büchner und einige der berühmtesten Figuren seiner Werke eingerichtet. Billig und notdürftig versteht sich. Grobes Sackleinen, schmutzig und blutverschmiert, und rissige und geklebte Plastikfolien bilden das Bühnenbild. Sie haben sich nicht wirklich eingerichtet: Sie ist ihnen fremd, ihre Welt. Am Ende der Aufführung ist alles Bergende dahin, das Bühnenbild schrittweise während der Aufführung dekonstruiert, die Welt eine schwarze, leere Fläche, auf der nur Gewalt und Tod in Gestalt der Guillotine Bestand haben. Ein Puppenkopf rollt, mechanisch vom Körper getrennt, über die Bühne.

Aber zurück zum Anfang. Schon zu Beginn des Stückes „büchner.die welt.ein riss“ werden die Zuschauer angesichts der Geburt eines Säuglings, der in Puppengestalt symbolisch in eine schwarze Folie gehüllt ist, mit Gedanken an den Tod konfrontiert. Danton, Woyzeck und Lenz sind schemenhaft durch das Sackleinen zu erkennen und klagen. Lenz „warf sich nieder, er betete mit allem Jammer der Verzweiflung, dass Gott ein Zeichen an ihm tue und das Kind beleben möge, wie es schwach und unglücklich sei.“ Das Zeichen bleibt aus. Es ist ihm „alles leer und hohl“, der Atheismus greift nach ihm - durch einen Riss im Plastikvorhang der Bühne. Und wie diese greifende Hand, so greifen auch die Gedanken um sich, die Danton und Büchner selbst durch den Kopf gehen: Wie kann der Mensch in dieser Welt Ruhe finden? Wie kann der Mensch frei werden?

Regisseur Thorsten Kreilos collagiert in seiner Textfassung des Stückes Zitate aus den Briefen Büchners, der revolutionären Flugschrift „Der Hessische Landbote“ sowie aus Büchners Werken „Dantons Tod“, „Woyzeck“, „Leonce und Lena“ und „Lenz“. Der Schauspieler Rüdiger Hellmann schlüpft in rasantem Wechsel in alle Rollen, tauscht Gewänder in Sekundenschnelle, variiert Gestik, Mimik, Tonlagen und Stimmungen und bringt so die Zuschauer zum Lachen, Staunen und Nachdenken.

Sie lernen Büchner hautnah kennen. Den Revolutionär, der sich auf die Seite der armen Bevölkerung schlägt und gegen die Herrscher protestiert: „Im Kerker geboren und großgezogen merken wir nicht mehr, dass wir in einem dunklen Loch stecken!“ Die Söhne des Volkes hätten die Wahl, Lakaien oder Soldaten zu werden, die Mädchen Mägde oder Huren. Freiheit und Menschenrechte seien nicht in Sicht, stattdessen herrschten Ausbeutung und Willkürherrschaft. Es bestehe keine Chance, gegen Steuern und Abgaben zu klagen. So kommt Büchner zu dem Schluss: „Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt.“ Eine steile These. In der Pflichtlektüre „Dantons Tod“, die seit einigen Jahren Abiturthema ist, vertritt Robespierre eine ähnliche Position, Danton hingegen fordert ein Ende des Blutvergießens. Die Schattenseiten des Mordens erlebt er am eigenen Leib, ihn plagen Schuldgefühle wegen der Septembermorde zur Zeit der Französischen Revolution, die er nicht verhindert hat. Er fühlt sich der Dynamik der Revolution heillos ausgeliefert: „Puppen sind wir, von unbekannten Mächten am Draht gezogen.“

Fragen werfen sich bei den Zuschauern auf: Können einzelne Menschen den Lauf der Geschichte beeinflussen? Etwas an den Verhältnissen zum Besseren wenden? Ist Gewalt ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele? Können wir heute als Menschen frei sein oder unterliegt auch unser Handeln äußeren Zwängen? Kann man sich angesichts von Schmerz, Leid, Gewalt und Tod in dieser Welt ruhig einrichten? Neben inhaltlichen Fragen konnten im Nachgespräch auch Fragen zu schauspielerischen Techniken und zu Requisiten gestellt werden und wurden von Regisseur Kreilos und Schauspieler Hellmann beantwortet.

Die Beschäftigung mit Büchners Werken in Form einer Theateraufführung ist lohnenswert. Das war zumindest die einhellige Meinung der Schüler und Schülerinnen, die am Ende, noch beeindruckt von der schauspielerischen Leistung, selbst aktiv wurden und mithalfen, das Bühnenbild und die Requisiten wieder abzubauen. Theater in der Schule ist körperliche und geistige Arbeit, sowohl für den Schauspieler, als auch für die Schüler.