Masel Tov Cocktail

„Masel Tov Cocktail“ – das ist kein hippes Szenegetränk, das die Widrigkeiten des Alltags vergessen lässt. „Masel Tov Cocktail“ – das ist der Film des jungen Regisseurs Arkadij Khaed, in dem er in das Alltagsleben des jüdischen Abiturienten Dimitrij, genannt Dima, mit all seinen Widrigkeiten eintaucht.

„Masel tov“ ist hebräisch und bedeutet so viel wie „viel Glück“, „viel Erfolg“. Dieses Glück ist Dima nicht beschieden, denn von allen Seiten wird er in die Rolle des Juden gedrängt und darauf reduziert, sei es von der eigenen Familie, den Gemeindemitgliedern, den Klassenkameraden oder den Lehrern.

Der Film zeigt einen Tag im Leben von Dima, einen „wilden, witzigen Ritt“, wie ihn der Hauptdarsteller nennt. Als Dima, Sohn russischer Einwanderer, von seinem Mitschüler Tobi provoziert und beleidigt wird, schlägt er zu, bricht dabei die Nase des Provokateurs und sprengt damit die Rolle des duldenden Opfers. Der einwöchige Schulverweis erfolgt postwendend und als der Vater erfährt, dass sein Sohn „schulfrei“ hat, setzt er noch eins drauf, indem er ihm die Teilnahme an der Abifahrt verbietet. Damit nicht genug: Der Schulleiter will, dass Dima mit einem Blumenstrauß zu Tobi geht, um sich zu entschuldigen. Unterwegs trifft er Tobi, der zur Strafe Stolpersteine schrubben muss. Dieser beleidigt ihn erneut, indem er die Blumen als „Andenken“ an Dimas „verstorbene Verwandte“, so die zynischen Worte Tobis, neben die Gedenksteine legt. Zu den Klängen von „Schalom aleichem“ (Frieden für alle) spricht der verzweifelte Dima mit sich selbst und dem Zuschauer, der sich fragt, ob sich Dima entwickelt hat. „Ich bin kein aggressiver Typ. Wohin soll ich mich entwickeln? In diesem Film fiel 32mal das Wort Jude, aber glaub mir, ich wache morgens nicht auf und denke, ich bin einer. Was würdest du machen?“ Noch während der Zuschauer überlegt, handelt Dima: Diesmal schlägt er nicht nur zu, diesmal tritt er zu.

Für diesen kurzweiligen, mit überraschenden Kameraeinstellungen arbeitenden und rasant geschnittenen Film, der an der Filmakademie in Ludwigsburg entstand, erhielt Arkadij Khaet mehr als ein Dutzend nationale und internationale Filmpreise und Nominierungen.

Beeindruckend ist die Vielfalt an Themen, die Khaet in dem 30minütigen Film anspricht: Dimas Herkunft als „Kontingentflüchtling“ aus der Sowjetunion anfangs der 90er Jahre, der jüdisch-arabische Konflikt, jüdische Geschichte, Juden und Araber, Umgang mit dem Antisemitismus und der Erinnerungskultur… und immer wieder Rollenzuschreibungen.

Im Juli waren Arkadij Khaet und die Drehbuchautorin Merle Kirchhoff in Schwäbisch Gmünd bei der Volkshochschule zu Gast. Beide ließen sich dafür gewinnen, ihren Film HBG-Schülerinnen und Schülern der 10. Klassen vorzustellen und sich anschließend ihren Fragen zu stellen. Angesichts des Themenreichtums kann es nicht verwundern, dass die jugendlichen Zuschauer jede Menge Fragen an das Team hatten.

Wie er denn zu dem Thema gekommen sei und was er mit dem Film aussagen wolle, fragten Schülerinnen und Schüler. Seine eigene Biografie und Familiengeschichte spielten darin natürlich eine Rolle, so der Regisseur, der selbst als Kind mit seiner Familie aus der Sowjetunion einwanderte. Ihm gehe es darum, jüdisches Leben jenseits von Drittem Reich und Schoah im heutigen Deutschland zu zeigen. Leben, das immer noch oder wieder verstärkt mit Antisemitismus und Stereotypen zu kämpfen hat.

Ob er denn nicht Anfeindungen befürchte angesichts der Tatsache, dass Dima den Beleidigungen mit Gewalt antworte? Natürlich verbiete sich in unserem Land eine solche Lösung. Aber er habe mit Dima eine Figur schaffen wollen, die ratlos und unsicher ist, wie sie mit ihren Gefühlen, die ja da sind, umgehen soll. Und er wollte eine wehrhafte Figur zeigen, die die jüdische Gemeinschaft auch brauche. Dies müsse allerdings in die Kunst, in den Film, sei jedoch keine Lösung für die Gesellschaft. Selbstverständlich habe er in den sozialen Medien auch Hassmails, gespickt mit antisemitischen Stereotypen, lesen müssen. Ein ungutes Gefühl beschleicht die beiden Filmschaffenden, wenn jüdische Einrichtungen und Veranstaltungen, bei denen Juden auftreten, durch die Polizei gesichert werden müssen. Auch die Wendung „Wir wissen nicht, was wir damals getan hätten“ sieht Khaet kritisch, denn sie könne der Entlastung der Täter dienen.

Auf zahlreiche Fragen zur Filmarbeit ging auch Merle Kirchhoff ein. Ein großes Problem stelle die Kürze der Zeit dar. Was darf im Film bleiben, was soll raus? Welche Fakten und Themen es nicht in den Film geschafft hätten, wollte ein Schüler wissen. Die Drehbuchautorin berichtete auch von den Schwierigkeiten beim Dreh, von der verweigerten Genehmigung im von einem jüdischen Kaufmann gegründeten Kaufhof zu drehen oder von Verboten, vor einem Holocaust-Mahnmal einen Tanz zu filmen. Trickreich habe man ein solches Verbot umgangen, indem man ein Mahnmal ebenso wie einen AfD-Stand, der als Kulisse einer Szene diente, nachgebaut habe.

Am Ende klärten Regisseur und Drehbuchautorin das junge Publikum über die Bedeutung des Filmtitels auf. „Masel Tov Cocktail“ weckt durch die klangliche Ähnlichkeit Assoziationen mit dem Molotov-Cocktail, den Khaet manchmal in die Kunst werfen möchte, wie er an anderer Stelle bekennt. Zudem ist der Film ein filmischer Cocktail, zusammengesetzt aus zahlreichen Themen und Zutaten. Und schließlich bedeutet „einen Masel-Tov-Cocktail werfen“ im Amerikanischen, sich als Jude zu outen.

Begeistert applaudierten die Zehntklässler Arkadij Khaet und Merle Kirchhoff für die Vorführung ihres Films und die anschließende intensive Diskussion. Für die Schüler*innen und Lehrkräfte wahrhaft ein Highlight in eher ereignisarmen Corona-Zeiten!

Klaus Kienzler